::: Folgender Text beinhaltet einen Erfahrungsbericht zur Antragstellung und Durchführung einer psychosomatischen Rehabilitationsmaßname. Es handelt sich ausschließlich um meine persönliche Sicht der Dinge :::
Wuff – der schwarze Hund
Have you ever, have you ever
Been all messed up,
Have you ever?
Have you ever, have you ever
Been all messed up?
Have you ever?
(The Notwist: One with the Freaks)
Ich machte erstmals 2017 Bekanntschaft mit ihm. Ich hatte die Kontrolle verloren, ließ Dinge überall liegen, war unkonzentriert, hatte keine Lust mehr. KEINE LUST AUF NICHTS. Kein Konzert, kein Stadion, keine Freunde, EINFACH NICHTS. Alles grau, sinnlos. Ich fühlte mich irgendwie wertlos, flankiert von Gleichgültigkeit und dem Gefühl das mich das auffrisst.
„Ok“, sagte ich zu mir, „du brauchst Hilfe“. Ich holte Hilfe, machte „erfolgreich“ Therapie. Alles richtiggemacht, so dachte ich zumindest …
Dann, 2020 dasselbe Spiel. Unterschied: körperliche Schmerzen, in meinem Fall in der Brust. Atemprobleme. Mal links, mal rechts, mal stark, mal schwach, mal Sodbrennen mal Rippenschmerzen. IMMER SCHMERZEN. Auch psychisch schlechter als davor. Richtig mies. Danke Wirbelsturm! Was folgte diesmal? Unzählige Arztbesuche, Krankschreischreibungen, Akuttermine, erfolglose Therapeutensuche und schließlich ein Rehaantrag samt relativ zügiger Genehmigung.
Soweit, so gut. Aber was passiert eigentlich in so einer Reha?
Welcome
Miss the signal, miss the Signpost,
lose the access to it all.
And all of a sudden
You are one with the Freaks.
Juli 2021. Mit Vorfreude und einem Rucksack voller Erwartungen war ich bereit für das große Abenteuer. Da ich bereits in der Nähe war machte ich einige Tage vorher einen kleinen Abstecher mit dem Auto zum Kurort. Dieser bestand gefühlt ausschließlich aus Kliniken samt dazugehöriger Infrastruktur. Kneipen, Cafes, Restaurants, Eis und Souvenirs, und sonst? … ja nichts halt. Die Kneipen hatten so verlockende Namen Saustall, RockBar oder „die kleine Kneipe“. Na ja. Ich fuhr dann noch einmal direkt an der Klinik vorbei. Rauchende Menschen versammelten sich dort unter einem Rauchen-verboten-Schild. Fuck!
Aufnahmetag: An der Rezeption zügig die Formalia erledigt und dann ab aufs Zimmer. Im Laufe des Tages kam dann noch mein Pate vorbei um mir die Klinik zu zeigen. Insgesamt 7 Häuser inklusive Tunnel unter der Straße der sie verband. Sporthalle, Gruppenräume, Vortragsraum, Ergoraum und die sagenumwobenen Räume von Haus 4, dem Akutbereich. Von überall spürte ich Blicke. Gesamteindruck: Charme und Esprit Fehlanzeige … irgendwas zwischen, Campingplatz, Jugendherberge und Krankenhaus.
Was mir von Anfang an aber sehr gut gefiel war der Kurpark. Viel Grün, viele Pflanzen und richtig geile Architektur. Yes, auf zum Kurkonzert!

Mein Pate hatte neben den Raucherecken auch noch einige wichtige Tipps parat. Unter anderem auch um welche Anwendungen man sich bemühen sollte und wie man bekommt was man möchte.
Dann folgte die Erstuntersuchung beim Arzt. Ich hatte extra alle Diagnosen, Schreiben und Gutachten dabei (CT, MRT, everything). Wollte er die sehen? Nein! War das eine vertrauensbildende Maßnahme? Nein! Selbst als ich meine Problematik ansprach … nichts. Na ja, zumindest hatte er eine weißen Kittel an. Die restlichen „Ärzte“ in unserem Bereich waren rein äußerlich nicht von Hausmeistern zu unterscheiden. Was die ärztliche Versorgung angeht insgesamt definitiv sehr ausbaufähig. Man darf in dieser Klinik alles sein oder werden, nur nicht krank, also körperlich gesehen.
In den nächsten Tagen kehrte dann doch recht zügig so etwas wie Alltag ein. Erste Anwendungen, rumhängen und gegenseitiges abchecken. Unterbrochen vom einsamen Essen in der Kantine. Jeder an einem einzelnen Tisch, den Blick eisern nach draußen gerichtet, direkt auf einen Berg und “Haus 8”, dem Raucherpavillion – Romantik. In der Kantine Menschen in Crocs, Badeschlappen und/oder Jogginghose.
Rainhardshausen Ultras 2021
So nach etwa einer Woche hatte man dann den Dreh raus und es bildeten sich erste Grüppchen zwischenmenschlicher Natur. Die Gruppenzusammensetzung bestand zumeist aus 2-3 weiblichen Personen und einer männlichen. Männer sind an diesem Ort Mangelware.
Ich lernte als Hahn im Korb Birgit, Katharina und Silke kennen. Allesamt hätten wir uns in der Draußenwelt wohl nicht gefunden, da wir doch sehr unterschiedliche Bezugsgruppen haben. Aber egal, denn fortan machten wir die Klinik, die umgrenzenden Ortschaften und Kneipen unsicher. Immer wieder kamen auch andere Menschen in den erweiterten Dunstkreisreis unserer Gruppe. So bildeten sich nach und nach die Reinhardshausen Ultras.

Das Beisammensein und Miteinander empfand ich als wirklich außergewöhnlich. Jede Person an diesem Ort hat irgendein psychisches Problem. Das Wissen darum erleichtert den Kontakt ungemein. Es ist von vornherein eine Basis vorhanden und im Idealfall auch eine gewisse Tiefe. Es gibt einfach viele Gemeinsamkeiten insbesondere was die sozialen Auswirkungen der jeweiligen Erkrankung angeht.
Ich finde es einfach krass, wenn ein bis eben noch fremder Mensch mir direkt ins Gesicht sagt was ich für ein Problem habe. Zudem verhalten sich Freaks größtenteils solidarisch untereinander. Dieser Kontakt ist ein ganz großer Pluspunkt eines Klinikaufenthaltes.
Ach so, um noch schnell mit einem Klischee aufzuräumen: an diesem Ort leiden fast alle Personen unter Schlafproblemen und/oder haben wenig bis keine Libido. Ich habe selten einen asexuelleren Ort wahrgenommen. Kurschatten? Hier nicht!
Anwendungen und Therapien
Eine Reha besteht im täglichen Ablauf größtenteils aus sog. Anwendungen. Hierbei handelt es sich um die therapeutischen Maßnahmen die man am Tag erhält. Bei einer psychosomatischen Reha wird beides bedient, die Physis und die Psyche.
Für den Körper habe ich an folgenden Anwendungen teilgenommen: Bogenschiessen, Entspannungstraining, Kraftraum, große Wanderung, Nordic Walking, Hydrojet/Massage und Bewegung in der Halle. Ich war quasi in der Sport-Leistungsgruppe, heißt, das war das Maximum an sportlicher Betätigung das angeboten wurde.


Ergänzt wurde dies auf psychischer Seite durch ein Gespräch mit dem Bezugstherapeuten einmal in der Woche sowie 3 therapeutisch angeleiteten Gruppen, auch jeweils einmal in der Woche. Die Gruppen waren bei mir die Problem- und Lösungsorientierte Gruppe, die Angstgruppe und die Depressionsgruppe. Zusätzlich gab es auch noch Gruppen zum Thema Trauer und Arbeitsplatz.
Der Bezugstherapeut ist eine sehr entscheidende Person. Im ersten Gespräch geht es allgemein um die jeweilige Problemlage. Zudem erfolgt hier auch die Einteilung in die therapeutischen Gruppen und die Wahl der Anwendungen. Das ist wichtig, da sich die Anwendungen unterschiedlicher Beliebtheit erfreuen. Ich hatte 6 Gespräche da die Reha um eine Woche verlängert wurde. Davon sind aber im Prinzip lediglich 4 Gespräche tiefergehend. Das erste ist wie oben beschrieben ein „aushandeln“ und das sechste ist dann für einen Rückblick und die Frage „was hat es gebracht?“ gedacht. In den 4 Gesprächen kann therapeutisch natürlich nicht sonderlich viel passieren, weil zu wenig Zeit.
In der Problem- und Lösungsorientierten Gruppe (5 Termine) kommen jeweils die Patienten des jeweiligen Bezugstherapeuten zusammen. Thematisch ist die Gruppe offen. Jede/r kann ein Thema einbringen. Zumeist geht es um Klassiker wie Stress, Arbeit, Selbstwert und solche Dinge. Eine in meinem Fall eher etwas mühsame Gruppe. Das hängt aber auch immer mit den Leuten zusammen die gerade dabei sind. Und da quasi jede Woche Leute dazukommen und/oder gehen ist es einfach schwierig irgendwelche privaten Dinge zu teilen.
Die Angstgruppe (4 Termine). Dort wurde der Angst- und Panikkreislauf besprochen und auch Möglichkeiten aufgezeigt diesen zu brechen bzw. Taktiken im Umgang mit der selbigen. Sehr interessant fand ich hier welch große Rolle körperliche Reaktionen spielen und wie man auch dort aktiv eingreifen kann. Diese Gruppe empfand ich als informativ aber in meinem Fall als wenig individuell.
Die Depressionsgruppe (4 Termine) macht im Prinzip dasselbe nur zum Thema Despression. Aufgrund der Zusammensetzung der Gruppe und einer wirklich sehr guten Therapeutin hat mir diese Gruppe am besten gefallen und auch am meisten gebracht. Auch hier einiges an theoretischem Wissen über Symptome. Awareness schaffen und so. Es fanden in 4 Sitzungen richtige Öffnungen statt, es wurde geweint und ich habe mich sehr gut aufgehoben und gesehen gefühlt. Etwas, das ich auf jeden Fall mit nach Hamburg nehmen und fortsetzen werde.
An der Anzahl der jeweiligen Termine ist absehbar, dass dies natürlich bei weitem nicht ausreicht. Hinzu kommt das man dort auch die ganze Zeit mit Maske sitzt. Man unterhält sich dann immer irgendwie mit einer körperlichen Hülle die nur Augen besitzt. Für eine Standortbestimmung ok, aber mehr auch nicht.
Immer wieder viel gerade am Anfang der Reha das Wort Ideenwerkstatt. Das stimmt schon, da man nicht erwarten kann die Klinik nach 5 Wochen austherapiert wieder zu verlassen. Andersrum darf das aber auch keine Ausrede für die Klinik sein sich nicht um die Individuen zu kümmern. Denn wenn man Dinge nicht ansprach ist man doch sehr schnell durchs Raster gefallen und wurde dementsprechend wenig bis gar nicht mitgenommen.
Fazit
Mir persönlich hat die Reha dahingehend etwas gebracht das ich Anregungen mitbekommen habe. Ich habe Entspannungstechniken ausprobiert und weiß nun das eine Therapie in der Gruppe durchaus Sinn macht und mir helfen kann. Denn eigentlich hasse ich Gruppen!
Gut ist auch einfach mal sechs Wochen nicht zu Hause zu sein und für sich zu haben. Im Kopf passiert etwas, das muss nicht pausenloses nachdenken und lösen von Problemen sein, sondern auch einfach mal NICHTS.
Mir persönlich bringt auch Sport immer was. Das mache ich generell gerne, war aber ebenfalls komplett auf den Gang zur Toilette reduziert in der depressiven Phase. Hier konnte ich während der Reha eine neue Basis legen die ich nun versuche aufrecht zu erhalten und auszubauen.
Wer aber konkret therapeutische Hilfe erwartet ist dort falsch. Zumindest in der Klinik in der ich war. Hier wird bestenfalls eine Therapiefähigkeit hergestellt.
Die Klinik hatte so eine Art Standardprogramm. Das ist auch klar, denn die Rentenversicherung bezahlt nicht viel und die Klinik muss wirtschaftlich überleben. Die Reihenfolge geht so: privat versichert, Krankenversicherung und Rentenversicherung. Das ist ausdrücklich als Rangfolge zu verstehen. Als Privatpatient bekommt man das Rundumsorglospacket im Allgäu mit Wellness, von der Rentenversicherung eben was anderes. Um so größer ist die Rolle die man selbst in diesem Spiel spielt. Was man möchte muss man sich holen.
Entscheidend ist ja was man mitnimmt und in den Alltag zu Hause langfristig integrieren kann. Diesbezüglich fand ich es sehr Schade das man genau darauf nicht vorbereitet wird. Die Reha war dort einfach irgendwann vorbei und man fährt nach Hause. Es gab keine Angebote die einen darauf explizit vorbereiten.
Mein größter Ratschlag ist es offen zu sein für das was während der Reha angeboten wird. Enorm wichtig ist auch sich nicht zu viel vorzunehmen. Ich habe beschlossen drei Dinge und Vorhaben mitzunehmen und umzusetzen. Kleine Schritte ist das Stichwort!
Tipps & Tricks
Solltet Ihr darüber nachdenken auch eine Reha zu beantragen kann ich Euch abschließend noch ein paar Tipps zur damit verbundenen Antragstellung geben.
Zunächst ist es wichtig, sich zu überlegen welche Form der Reha die richtige ist und wer der jeweilige Kostenträger ist. Nicht immer ist eine psychosomatische Reha das richtige. Es kommt stark auf die jeweiligen Problemlagen und Diagnosen an. Informationen dazu findet Ihr hier: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/rehabilitation.html
Sucht Beratungsstellen auf! Dort bekommt Ihr Hilfestellungen und Tipps die in den offiziellen Unterlagen nicht enthalten sind. Ist eine Mutter-Kind-Reha beispielsweise angedacht macht es auf jeden Fall Sinn sich beim Müttergenesungswerk beraten zu lassen. Das gilt ausdrücklich auch für Männer! Hier der Link: https://www.muettergenesungswerk.de/spenden-engagieren/online-spenden?gclid=EAIaIQobChMIvMPWr9Gs8wIVi6l3Ch0yDA1bEAAYASAAEgKbB_D_BwE&gemeinsamstark-in-der-krise/spende
Grundsätzlich solltet Ihr den Arzt bzw. die Ärztin Eures Vertrauens aufzusuchen. Von Vorteil ist es wenn Ihr klare Diagnosen erhaltet. Auch ein Gutachten bzw. ein paar schriftliche Worte des Arztes sind auf jeden Fall gut. Im Idealfall füllt der Arzt den Antrag mit Euch zusammen aus.
Scheut Euch auch nicht andere Hilfe in Anspruch zu nehmen, beispielsweise therapeutische. Solltet Ihr dort keine Termine bekommen kann ich Euch ausdrücklich die Homepage der 116117 empfehlen. Hierüber bekommt man zwar keinen Therapieplatz aber zumindest Erstgespräche vermittelt: https://www.116117.de/de/index.php
Ich habe meinem Antrag darüber hinaus auch noch ein paar eigene Worte beigefügt. Dies gibt Euch die Gelegenheit zu erläutern wie Euch die Probleme im Alltag beeinträchtigen. Hier solltet Ihr auch etwas dazu schreiben wie die Reha dazu beitragen soll das die Symptome sich verbessern. In meiner Reha ging es ja ganz klar darum meine Arbeitskraft zu erhalten. Das solltet Ihr erläutern.
Raten möchte ich Euch außerdem die Klinik sehr gut auszusuchen und auch dafür zu kämpfen genau dort einen Platz zu erhalten (siehe Erfahrungsbericht oben). Jede Klinik hat eine Homepage. Schaut dort ganz konkret nach den Indikationen die dort behandelt werden. Schaut Euch darüber hinaus am besten auch Kritiken und Erfahrungsberichte zur jeweiligen Klinik an. Das kostet Zeit, aber es lohnt sich! Die richtige Klinik ist wichtig für das Gelingen der Rehabilitation und Eure Genesung. Für eine gute Klinik kann es sich durchaus lohnen einige Wochen oder Monate Wartezeit in Kauf zu nehmen.
Wenn Ihr den Antrag dann abschickt besteht trotz optimaler Vorbereitung die Möglichkeit das die Reha abgelehnt wird. In diesem Fall immer Hilfe holen und auf jeden Fall Widerspruch einlegen! Denn das ist oft Teil des Games. Nicht aufgeben!
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